Als wir am Freitagabend in Doussard (südliches Ende des Sees) ankamen, ging gerade
noch der letzte Wolkenbruch nieder. Deswegen beschlossen wir, einen Bungalow
(bessere Zelthütte mit Kühlschrank, Kochgelegenheit und eigenem WC incl.
Dusche) für 60 DM pro Tag anzumieten. Wir ersparten uns somit Stress mit dem
Zelt - was definitiv die richtige Entscheidung war.
Am Samstag regnete es meist. Aus diesem Grund war zuerst mal die Vorstellung der
einzelnen Piloten (aus den Flugschulen Glidezeit
und Mergenthaler) und
Theorie angesagt. Wir waren ein recht bunt zusammen gewürfelter Haufen, mit
Piloten nach erst kurz bestandener A-Schein Prüfung bis zu mehrjährigen
Flugerfahrungen. Die Theorie beinhaltete Notabstiegshilfen wie Ohrenanlegen
(unbeschleunigt und beschleunigt), B-Stall und Steilspirale. Wobei viel Wert auf
die Verfeinerung des Flugstils gelegt wurde. Stabile Steilspirale war natürlich
auch ein Thema (wobei die Diskussion diesen kurzen Überblick sprengen würde).
Willi betonte das beidseitige Anbremsen während der stabilen Steilspirale, um
die Energie und Geschwindigkeit zu mindern, um danach das normale Ausleiten zu
ermöglichen. Anschließend wurden Störungszustände wie Klapper
(unbeschleunigt und beschleunigt, ungehalten und gehalten sowie vorbereitet und
unvorbereitet) besprochen.
Am nächsten Tag war zuerst Landeplatzbesprechung angesagt. Danach erfolgte der
erste Flug vom "Col de la Forclaz" mit Ausschau nach Notlandeplätzen,
für den Fall, dass einer der Piloten beim Trainieren der einzelnen Flugfiguren
über Wasser zuviel Höhe verlieren würde. Alle Sicherheitsflüge wurden über
Wasser mit Schwimmweste durchgeführt. Es fing harmlos mit Ohrenanlegen
(beschleunigt und unbeschleunigt) incl. Richtungsänderungen an. Mittags flogen
wir am "Planfait"
(Landeplatz direkt vor der SupAir "Hütte"), und abends wieder am
"Col de la Forclaz". Nach dem thermischen Teil flogen meine Freundin und ich nah nebeneinander zum Landeplatz. Ich kann nur jedem Piloten
empfehlen, seine Partnerin zum Gleitschirmfliegen zu bringen.
Montags ging es mit Klappern, zuerst nicht gehalten und vorbereitet
(Gegenseite leicht angebremst) und Einleitung Steilspirale weiter, wobei die
Aufgabenstellung betr. der Steilspirale lautete: Einleitung binnen 1 Umdrehung,
2 Umdrehungen spiralen, 2 Umdrehungen zum Ausleiten ohne aufzuschaukeln. Noch am
gleichen Tag folgten Klapper gehalten und stabilisieren (geradeaus Flug) und der
B-Stall.
Der nächste Tag fing mit Soaring am "Col de la Forclaz" an. Jeder, der
vor seinem Sicherheitsflug noch soaren wollte, konnte das nach Ankündigung der
Flugfiguren tun, anschließend meldete man sich bei Abflug zur Position (für die
Übungen) bei Klaus (Fluglehrer bei Mergenthaler und ein super Kumpel) ab. Willi
übernahm dann vom Seeufer wieder die Kontrolle der Manöver, die natürlich
wieder über Wasser geflogen wurden. Die Flugfiguren konnte sich jeder nach
seinem Zutrauen aussuchen. Willi und Klaus übernahmen die beratende Rolle. Somit wurde auch niemand überfordert. Ich hatte mich für den
gehaltenen Klapper (MPG 6MB) unvorbereitet mit anschließender 180° Kurve entschieden.
Was mich am meisten überraschte, war die gute Kontrolle des Schirms (Arcus M) mit 1/3
Flügelfläche. Die Sinkwerte von ~5 m/s waren für mich
auch noch in Ordnung. Die Klapper wurden immer nach rechts und nach links
geflogen.
Am Mittwoch war wegen Regen wieder Theorie angesagt. Thema diesmal: Trudeln
(einseitiger Strömungsabriss) und Fullstall (sollte ich den Fullstall fliegen
oder nicht; sein oder nicht sein, das war hier die Frage.)
Donnerstags war der Himmel wolkenverhangen. Nach einigen Stunden in den Wolken
am Startplatz "Col de la Forclaz" entschied man sich für
"Planfait". Es war durchaus fliegbar. Dieses Wetter konnte mich, meine
Freunding und einige andere Piloten nicht zum Fliegen begeistern. Ich gebe es zu,
ich bin nun mal ein Schönwetterflieger. Und wieder konnte ich mich einen Tag
mehr mit dem Fullstall auseinander setzten.
Der Freitag überraschte uns mit gutem Flugwetter. Beschleunigte Klapper und
gehaltene Klapper waren meine Übungen für den ersten Flug. Im zweiten Flug war
der Fullstall (MPG 7 MB) an der Reihe. Die Entscheidung traf ich erst am Startplatz. Ich
wollte diese Flugfigur fliegen. Willi hatte uns am Vorabend noch mal die Angst
genommen, und wesentlichen Abschnitte, wie Flug verlangsamen, Durchziehen und Halten, nach oben schauen und das zügige "Fliegenlassen"
hervorgehoben. Außerdem war er ja immer am Funk. Ich flog in die Position über
den See und bremste den Schirm langsam an, die Windgeräusche waren plötzlich
verschwunden (ein seltsames Gefühl), nach weiterem anbremsen wurden die
Steuerdrücke beim Arcus so hart, dass ich glaubte, ich müsste schon abrechen.
Doch plötzlich kam von Willi das Kommando "Zieh ihn durch" (meine
Überlegungen hatte sich somit erledigt), und sofort "Haltenhaltenhaltenhaltenhalten".
Die Steuerleinen rissen nicht unerheblich an meinen Armen. Mit einem Blick zur
Kappe konnte ich sehen, dass sie nur noch ein Fetzen war und heftig hin und her
pendelte. Nach dem Kommando "Lass ihn fliegen" versuchte ich die Arme
langsam zur Hüfte zu bewegen um sie danach zügig hoch zuführen und die
Bremsen komplett freizugeben. Der Schirm öffnete sich, und ich dachte, ich
hätte es schon überstanden, als sich die Strömung wieder anlegte und der
Schirm mit einem satten Nicken Fahrt aufnahm. Den restlichen Flug verbrachte ich
mit kleine Wingovers und einem euphorischem Gefühl in meinem Kopf - der
Fullstall ist ein geiles Manöver. Nach der Landung zeigte
mein Vario Sinkwerte von ~11 m/s (Fullstall als Notabstiegshilfe? - Scherz).
Der nächste Flug beinhaltete Steilspiralen (jeweils links- und rechts
eingeleitet) und ein wenig größere Wingover.
Am Abend war Willi von uns begeistert und schlug vor, am nächsten Tag kann, wer
möchte, einen einseitigen Strömungsabriss mit 2-3 Negativdrehungen und
anschließender Ausleitung über Fullstall fliegen. Es gingen 5-6 Arme nach
oben, meiner war der letzte, der nach oben ging.
Wieder war ich mir erst am Startplatz sicher, dass ich den einseitigen
Strömungsabriss (MPG 6MB) fliegen wollte. Über der Position kam von Willi das Kommando "Brems ihn an" , und viel früher als ich damit gerechnet hatte "TOCK"
(Willi meinte damit das totale Freigeben der einen Steuerleine, während
gleichzeitig die andere Leine über den Strömungsabriss komplett nach unten
gezogen wird). Mein Schirm drehte negativ, und ich wurde im Verhältnis zum
Fullstall nur leicht nach vorne geschleudert. Sofort danach nahm mich die
Drehbewegung des Schirms mit. Es war anders als im Fullstall aber nicht
unangenehmer. Nach geschätzten 3 Umdrehungen drückte ich mit Gewalt die offene
Steuerleine komplett nach unten. Die Drehbewegung hörte auf und ich war im
Fullstall. Mit Blick zur Kappe versuchte ich den richtigen Zeitpunkt zum Füllen
zu finden und auszuleiten, was wieder recht zügig erfolgte (wobei man während
der Videoanalyse erkennen konnte, dass ich die Bremsen beim Anfahren nicht ganz
offen hatte. Seltsamseltsam ;-)). Danach flog ich noch eine Steilspirale und
landete wieder "voll gut drauf" am Landeplatz- Endorphin lässt grüßen.
Wieder am Startplatz angelangt, entschied ich mich nach Beratschlagung mit Klaus
wieder für den einseitigen Strömungsabriss
(MPG
7MB) mit Ausleitung über Fullstall.
Oder war es doch das Endorphin.
Ich konnte mich immer besser auf die einzelnen Phasen Strömungsabrisses,
Drehbewegung, Blick zur Kappe und Füllen des Schirms konzentrieren. Beim
"Anfahren lassen" genoss ich diesmal richtig die Vorwärtsfahrt incl.
Blick nach unten zum blauen See - ein super Ausblick. Zum Abschluss kam wieder
die Steilspirale (-15m/s)
Die Angst vor einem Fullstall war für mich das größte Problem, nicht die
Flugfigur. Nachdem die
Entscheidung getroffen war, musste ich nur noch konsequent das Manöver zu Ende
fliegen, und ein kompetenter Fluglehrer am Funk gab mir die restliche
Sicherheit.
Sonntags gingen Einige noch zum freien Fliegen, wobei wir unsere Hütte
ausräumten und nach Hause fuhren. Vorher machten wir aber alles klar für das
Sicherheitstraining im nächsten Jahr.
Ich kann jedem Piloten, ob erfahrenem Piloten oder Neuling, nur empfehlen, ein
Sicherheitstraining zu absolvieren. In Anbetracht des Gleitschirmfliegens, der
Herausforderung und der Gefährlichkeit aber natürlich auch des Vergnügens
sollte man nicht am falschen Fleck sparen und ruhig mehrere
Fortbildungsmaßnahmen während seines Pilotendaseins einplanen. Nach meiner
Einschätzung kann man nicht früh genug mit einem Sicherheitstraining beginnen.
Dadurch wird einem klar, wie gefährlich einerseits das Gleitschirmfliegen ist,
und andererseits, wie viel "Aktives Fliegen", richtiges
Pilotenverhalten und natürlich ein sicherer Schirm dieser Gefährlichkeit
wieder entgegenwirken kann. Ebenso vertrete ich die Meinung, dass gute
Wetterkenntnisse und Wettereinschätzung ein elementarer Teil dieses Sports
sind. Jeder Pilot, der Notabstiegshilfen benützt oder Klapper ausgleichen muss,
fliegt bei Bedingungen oder in Bereichen, die er hätte meiden sollen. Ein
Neuling kann diese Einschätzungen mangels Erfahrung gar nicht treffen. Welche
Flugschule schult schon bei thermischen Bedingungen? Aber gerade diese
Bedingungen wird normalerweise der frischgebackene Pilot vorfinden (falls er
nicht nur am Morgen, am Abend oder bei bedeckten Bedingungen fliegen will). Ich
kann mich noch gut an meine ersten thermische Flüge erinnern und an die
Überraschung, wie wackelig und anstrengend das "ruhige Gleiten" auf
einmal wurde. Und als ich mich auch noch am Mittag in Immenstadt (am 12.5., starker Nordwind
mit großflächigem Steigen) eine Stunde lang mit angelegten Ohren (eine
Steilspirale konnte ich noch nicht fliegen und für einen B-Stall waren mir die
Bedingungen zu wild) zum Landeplatz kämpfte musste, im Landeanflug noch einen
gescheiten Klapper kassierte, wollte ich das Gleitschirmfliegen schon aufgeben.
Nichtsdestotrotz fliege ich immer noch und habe auch immer mehr Freude am
Fliegen - aber ich werde niemals meine ersten freien Flüge vergessen, die
werden mir immer eine Lehre sein.